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Blindentennisturnier in Spanien

Am 06.05.2017 flogen Pavel, Robert und ich vom Rostocker und Michael vom Kölner Standort gemeinsam nach Alicante, wo uns einer der Organisatoren bereits erwartete und zum Bus brachte. Im Resort angekommen, gab es erst einmal die berühmten grünen All Inclusive Bänder ums Handgelenk, und dann ein Foto mit der IBTA Flagge. Unsere Zimmer entpuppten sich als Ferienapartments mit Küche und Balkon, ein wirklich großer Pool lachte uns an, und die tägliche Auswahl am Buffet konnte sich auch sehen und schmecken lassen. Am Abend gesellte sich noch Dennis aus Berlin zu uns, und wir sahen Grußbotschaften von paralympischen Sportlern, Funktionären und professionellen Tennisspielern. Die Vorgehensweise der Klassifizierung wurde erklärt, und der IBTA Präsident eröffnete das Turnier.

Am folgenden Tag gab es neben der Klassifizierung der Spieler in einem nahen Krankenhaus einen Level Test. An drei Stationen, bestehend aus je zwei oder drei Coaches wurden verschiedene Fähigkeiten der Spieler getestet: Aufschlag, Ballwechsel und angeworfene Vor- und Rückhand. Ich war in einer Gruppe mit einer Polin, einer Japanerin und einer Britin, alle B1. Mein Aufschlag war unterdurchschnittlich, Ballwechsel kamen nur ein- oder zweimal zustande, Rückhand war so stolprig wie erwartet, nur die Vorhand ließ mich nicht im Stich. Robert und Pavel hatten mit dem Wind zu kämpfen.

Mittlerweile waren auch Simone aus Rostock und Charlotte aus Löhne eingetroffen.

Am Nachmittag sollten Robert, Michael und ich klassifiziert werden, erfuhren aber, dass es unseren Klassifizierern gar nicht gut ging und sie abbrechen mussten. So hatten wir immer mal wieder die Gelegenheit, auf Hardcourt zu trainieren, den wir in Rostock ja nicht haben. Die Stärke der spanischen Sonne haben wir wohl alle zu spüren bekommen, jeder war an irgendeiner Stelle rot.

Am Montag begann dann der Ernst des Lebens. B1 wurde in aller Frühe klassifiziert und fuhr dann mit Coach Linn zum Pavillon, in dem auf Parkett zwei Courts abgeklebt waren. Ich war die erste aus Deutschland, die spielen sollte und erwirkte für uns drei eine halbe Stunde Einspiel auf dem Hartplatz, während die B2 und B3 Spieler ins Krankenhaus zur Klassifizierung fuhren.

Als ich das erste Mal den Platz betrat, gab es eine kleine Orientierungsrunde mit Coach Linn. Sie zeigte mir die abgeklebten Linien (Tape, unter dem eine Schnur verlegt ist). Taktil sind Seiten- und Mittellinie, wobei diese nach hinten gezogen ist. Das ist eine richtig gute Idee, so kann sich der Aufschläger gut ausrichten. Mein Schläger hielt als Wahlentscheider her.

Mein Auftakt war fulminant. Ich hatte, nachdem ich die Britin und die Japanerin im Level Test gesehen hatte, meine Erwartungen ganz nach unten geschraubt, brachte es fertig, meiner mexikanischen Gegnerin den Aufschlag abzunehmen und gewann das Match mit 4/2. Oder besser, sie verlor es, ich vermute aufgrund ihrer Nervosität.

Ich musste mich erst auf den Parkettboden einstellen, wo die Bälle höher abspringen als auf heimischem Teppich, und der Ball klingt viel lauter, wenn er auf dem Boden aufkommt. Das Geräusch des Laufens klingt so schön, dass ich mich gern bewege, und ich liebe es, wenn der Schiedsrichter bei Aufschlag der Gegnerin „Love Fifteen“ ausruft. Und wenn die Leute applaudieren, weil mir ein Return gelungen ist, dann bin ich richtig wach. Allerdings spüre ich auch Konzentrationslöcher und denke mir: so geht’s also auch den Profis. Und diese Vorstellung hat schon was, das Fernseherlebnis selbst auf dem Platz erleben und gestalten zu können. Genauso gern applaudiere ich der Gegnerin, wenn ihr ein Aufschlag gelingt, mit dem ich nicht gerechnet hatte…

Derselbe Court fand mich nach meinem zweiten Match wieder als Siegerin, diesmal gegen die von sich selbst enttäuschte Britin. Ich brachte es fertig, mich auf ihren Aufschlag von der Vorhandseite einzustellen, nahm ihr auf diese Weise im Entscheidungspunkt ein Aufschlagspiel ab und sah mich mit 5:3 am Ende des Tages im Halbfinale.

Mittlerweile hatten auch Robert und Michael ihre Vorrunden begonnen. Robert startete grandios mit einem 4/0 Sieg, während Michael zwei Verluste kassierte. Er musste sich allerdings auch auf die Aufschlagbox einstellen, die nur 4,6 m lang ist. Robert bestritt das allerletzte Match auf seinem Court und lieferte sich mit einem Briten ein packendes Duell, das er erst im Tie Break verlor.

B2 und B3 berichteten von ihrer Erfahrung bei der Klassifikation, was für sie natürlich viel ereignisreicher ist als für uns. Pavel war überrascht zu erfahren, dass er an der Grenze zu B3 steht, und Charlotte ist gerade noch so B3. Dennis und Simone sind solide in ihren Klassen B2 und B3.

Zur Erinnerung:
B1 = vollblind und spielt mit Augenmaske auf Kleinfeld mit maximal drei Aufprallern;

B2 kann noch etwas sehen, spielt auf Dreiviertelfeld mit drei möglichen Ballaufprallern;

B3 kann mehr sehen, spielt auf Dreiviertelfeld mit zwei möglichen Aufprallern.

An Dienstag, Tag 2 des Turniers, griffen B2 und B3 ins Spielgeschehen ein. Aus zwei Plätzen in der Haupthalle wurden vier Plätze für B2 und B3, und B1 spielte in der kleineren Halle nebenan auf einem Platz seine Matches weiter, wo es entsprechend ruhig war. Robert und Michael verloren ihre Matches, Robert war enttäuscht und Michael zufrieden, weil er mit einem wesentlich stärkeren Gegner gut mithalten konnte.
Pavel verzeichnete zwei 0/4 Niederlagen nach der Vorrunde und war frustriert. Dennis hatte Kontrastprobleme mit Ball und Boden, konnte aber zum Ausklang mit zwei Niederlagen und einem Sieg Hoffnung schöpfen.

In B3 fegte Charlotte ihre mexikanische Gegnerin vom Platz. Simone schlug die Australierin und unterlag Odette, die für Frankreich startete.

Am Mittwoch wurden in B1 die Herren Viertelfinals gespielt, leider ohne deutsche Beteiligung. Ich stand im Halbfinale einer Italienerin gegenüber, die einfach im entscheidenden Tie Break mehr Bälle zurück brachte als ich und diesen verdient mit 7:4 gewann. Coach Linn war einem Herzinfarkt nah, weil es mir immerhin gelang, eine gehörige Portion Bälle fast übers Netz zu heben und fast im Feld zu halten. Bis ich bemerkte, wo mein Fehler lag, war es leider schon zu spät.
Dafür hatte ich die Lacher auf meiner Seite, als in einer kleinen Pause ein mir sehr wohlbekannter Handyklingelton herüber schallte. Gutgelaunt rief ich Pavel zu: „Grüß deine Mama von mir!“

Unser Schiedsrichter meinte, als er mich nach Spielende zur Tribüne brachte, solche Leute wie mich müsste es öfter geben. Oh ja, dann hätten wir und das Publikum eine Menge Spaß!
Die Unterstützung des Teams war ungebrochen, als ich später um Platz vier spielte, erneut gegen die Mexikanerin. Ich war müde und hüpfte immer zum Seitenwechsel, um mich wach zu halten und zu konzentrieren. Sie schlug zwar nicht mehr so stark und variabel auf wie im Vorrundenspiel, hatte dafür aber ihre Nerven im Griff. Sie nahm mir zu Beginn des entscheidenden Tie Breaks einen Aufschlag ab, den ich mir zurückholen konnte. Dafür returnierte sie zum richtigen Zeitpunkt meinen Aufschlag, und das Podium war für mich Geschichte. Egal, ich war richtig zufrieden mit meinem Abschneiden und hatte sofort eine Ahnung, woran ich ab sofort arbeiten muss im Training. Coach Linn ärgerte sich. Sie meint, ich hätte im Finale stehen und eine gute Figur machen können. Im Nachhinein betrachtet hätte ich zumindest Platz drei erreichen können, aber Glück gehört eben auch dazu. Wir arbeiten dran!
Als ich zur Tribüne kam, gab es Party. Mir wurde applaudiert, und ich begann ein rhythmisches Klatschen, das sofort aufgenommen wurde. Nach meinen Matches war ich immer so aufgedreht, dass ich drei Runden um den Platz hätte sprinten mögen.
Robert kümmerte sich übrigens großartig um mich während der Wartezeiten. Er lenkte mich ab und machte mit mir Quatsch.
Als wir in der großen Halle vor leerem Spielfeld saßen, meinte er: „Wow, was für ein spannendes Match hier unten! Habt ihr diesen Ballwechsel gesehen?“ Und pfiff anerkennend. Unten lief gerade eine Reinigungsfrau durch, die zu ihm hoch schaute. Was wäre eigentlich passiert, wenn er den Blick erwidert hätte?

Weil Viertel- und Halbfinals von B1 so lange dauerten – die Herren spielten ihre Halbfinals und um Platz vier auch noch, wurden die nebenrundenspiele für B1 nicht ausgetragen. B2 und B3 schafften alle ausstehenden Spiele, bis aufs Finale. Dennis stand im Viertelfinale, verlor dies aber.  Pavel schaffte einen versöhnlichen Abschluss und schlug seine beiden Gegner in der Nebenrunde, die er gewann. Somit schloss er mit Platz neun ab. Simone unterlag Charlotte im Halbfinale der B3 Damen, traf dann erneut auf Odette und gewann, wie ich, Platz vier.

Der letzte Turniertag erlebte erneut einen Umbau der Plätze in der Haupthalle. Charlotte hatte erneut mit der Mexikanerin keinerlei Probleme. Sie war noch nicht mal warm gelaufen, als sie als Turniersiegerin vom Platz kam!
Die Finals von B2 und B3 fanden zeitgleich auf zwei Courts statt. Danach spielten B1 Damen und Herren ihre Finals. Unser Niklas durfte das Herren Finale leiten – also doch deutsche Beteiligung.
In der kleinen Halle wurden parallel die Nebenrundenspiele ausgetragen. Robert verlor seins erst im Tie Break mit 7/6. Michael gewann seine ersten beiden Matches, schlug seinem zweiten Gegner, einem Italiener, Fußball vor, der war gar nicht abgeneigt. Die beiden nahmen ihr Match mit viel Humor und hatten Spaß. Michael returnierte unglaublich viele Bälle und bewegte sich gut. Der Gegner im Finale war allerdings ein bisschen zu stark, so dass Michael das letzte Spiel des Tages verlor aber sehr zufrieden mit seinem Abschneiden war. Er ist von uns allen der, der am spätesten mit dem Tennis angefangen hat, bringt aber vom Fußball eine unglaubliche Athletik mit.
Endlich, endlich konnte ich das Leben genießen. Ich saß am Pool, genehmigte mir einen Wein und verabschiedete mich früh. Dafür ging ich am Freitagvormittag schwimmen und faulenzen. Nachmittags gab es noch ein Treffen der Landesvertreter bei der internationalen Blindentennisorganisation IBTA, und danach hatte ich die große Freude, einen Moment mit Ayako Matsui, der langjährigen Wegbegleiterin des Erfinders des Blindentennis, Miyoshi Takei, zu haben. Sie zeigte mir die alten Tennisbälle und den alten Schläger, mit denen Takei experimentiert hatte, und wir erzählten über die japanischen Blindentennisspieler. Der Gewinner von Platz drei in der B1 Kategorie ist ein zweiundsiebzigjähriger Herr, der in Japan auf Platz 8 der Rangliste steht und sich noch großartig bewegt, und der Sieger in der B1 Kategorie war der härteste Konkurrent von Takei und ist die Nummer Eins der japanischen Rangliste. Später am Abend stellte mir Ayako den älteren Herrn und seine Frau vor. Es ist wirklich beeindruckend, wie fit er noch ist und wie gut er, und generell die Japaner, auf den Beinen sind.
Wir können heute vermelden, dass alle Teammitglieder und Volontäre sicher gelandet sind. Und denen kann ich nicht genug danken. Unsere Volontäre und Coaches haben uns beim Essen holen unterstützt, sind mit uns an den Strand gefahren, gejoggt, haben uns eingespielt, uns bei den Matches unterstützt und unzählige Bälle aufgesammelt, uns zum Seitenwechsel begleitet, Spiele analysiert, und Linn hat mit Robert und mir Billard gespielt. Dank ihnen konnten wir uns nur aufs Spiel konzentrieren und hatten eine wunderbare Zeit! Dank geht auch an die Gold-Krämer-Stiftung und den DTB, die uns zu unserem Team-Shirt verholfen haben.
Und was kommt jetzt? In Deutschland haben wir einige Pläne für die Zukunft, um unsere Standorte besser zu vernetzen und Erfahrungen und Trainingsmethoden zu teilen. Die Rostocker Gruppe spielt am 08.07.17 beim Gegenbesuch in Nizza, Ende September startet der zweite deutsche Blindentennisworkshop und im April fährt Rostock voraussichtlich nach Dublin, um dort ein Städtefreundschaftsturnier mit Dublin und London zu bestreiten.

Ich wünsche uns allen einen schönen Sommer, viel Spaß beim Trainieren und viel Erfolg, Chris.

Bericht – Christiane Kaplan
Rostock

 

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