Das Staatliche Museum ist seit dem 12. Oktober im Besitz eines Lesetasthörbuches über Werke der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts
Lesen – tasten – hören: Wer nicht oder nur eingeschränkt sehen kann, muss mit seinen anderen Sinnen die Dinge wahrnehmen. Eine völlig neue Möglichkeit eröffnete sich Sehbehinderten und Blinden am vergangenen Freitag, dem 12. Oktober, im Staatlichen Museum Schwerin. Der Blinden- und Sehbehinderten-Verein Mecklenburg-Vorpommern (BSVMV) übergab an diesem Tag das Lesetasthörbuch „Das Goldene Zeitalter“ an das Museum. Künftig können Menschen, die nicht oder nur sehr schlecht sehen können, die Schönheit ausgewählter Werke holländischer Maler aus dem 17. Jahrhundert durch das eigene Ertasten erleben.
„Mit diesem ganz speziellen Museumsführer wird auch uns der Zugang zur bildenden Kunst eröffnet“, betonte Wolf-Hagen Etter, stellvertretender Landesvorsitzender des BSVMV am Freitag in Schwerin.
Der Weg zum beeindruckenden Endprodukt war lang, umso zufriedener sind alle Beteiligten mit dem Ergebnis. „Ich hoffe, dass sich viele Besucher mit diesem besonderen Buch beschäftigen werden“, sagte Museumspädagogin und Ideengeberin Birgit Baumgart.
Das Lesetasthörbuch verlegt alle Eindrücke auf andere Sinne als das Sehen. Die Einzelheiten eines Bildes wurden mit speziellen Verfahren als Ebenen und Strukturen auf Tastfolien umgesetzt. Ergänzt werden die Abbildungen der Gemälde durch Erläuterungen in Braille- und Schwarzschrift. „Wir wollten damit den Gedanken der Inklusion stützen“, erklärte Gregor Strutz vom Berliner Verein „Andere Augen“, der von Anfang an maßgeblich an der Umsetzung dieses Projektes beteiligt war. Das Buch könne sowohl von Sehbehinderten und Blinden als auch von Sehenden als Lehrbuch genutzt werden, „aber ohne erhobenen Zeigefinger“.
Der Inklusionsgedanke spielte auch für Birgit Baumgart von Anfang an eine große Rolle. „Wer mit diesem Buch durch das Museum geht, kann vor den entsprechenden Bildern mit einem Hörstift eine Audiowiedergabe starten, die zusätzlich das Gemälde beschreibt. Diese Texte sind für sehende und sehbehinderte Menschen gleichermaßen interessant“, so Birgit Baumgart, die die Besucher der feierlichen Übergabe gleich anhand zweier Gemälde in die Wirkung des Buches einwies.
„Das ist wirklich sehr gelungen. So haben wir selbst etwas unter den Fingern und können Einzelheiten und Bildaufteilung erfühlen“, fasste die blinde Ulrike Klinke aus Schwerin zusammen.
Die Umsetzung des Lesetasthörbuches kostete knapp 48.000 Euro. Die Finanzierung des in diesem Umfang deutschlandweit einzigartigen Werkes wurde durch eine Förderung von 75 Prozent durch die Aktion Mensch ermöglicht. Die restlichen Kosten hat der BSVMV getragen.
Das Lesetasthörbuch kann im Staatlichen Museum Schwerin auch käuflich erworben werden.
Hintergrund
Bereits 2006 beschäftigte sich Museumspädagogin Birgit Baumgart mit der Idee, Gemälde aus der Schweriner Sammlung nicht nur über reine Bildbeschreibungen den Blinden und Sehbehinderten zugänglich zu machen.
Ein Jahr später führte sie erste Gespräche mit der Gebietsgruppe Schwerin des BSVMV über ein Lesetasthörbuch. Das Projekt wurde 2009 bei der „Aktion Mensch“ eingereicht, die im Mai 2010 das Projekt bewilligte. Der einzigartige Museumsführer wurde von dem Berliner Verein „Andere Augen“ sowie der Leipziger Zentralbücherei für Blinde im Juli dieses Jahres fertiggestellt und kann seit dem 12. Oktober im Staatlichen Museum Schwerin zum Rundgang ausgeliehen werden.
Bildautor: Gritta Flau